von Antje Przyborowski | Mrz 23, 2023 | Abschied von Kinderwunsch, Adoption/Pflegschaft, Kinderwunsch, künstliche Befruchtung |
Die Zeit des unerfüllten Kinderwunsches ist oftmals steinig und schwer. Und so individuell wie du selbst. Deshalb bringt es nichts, wenn du versuchst, Ratschläge anderer Menschen, die bereits erfolgreich Kinder bekommen oder ihren Kinderwunsch abgeschlossen haben, einfach zu übernehmen. Denn „den“ Weg zum Kind gibt es nicht. Ratschläge können Möglichkeiten aufzeigen, aber auch „Schläge“ sein, bei denen du den Eindruck gewinnst, dass du nicht in Ordnung bist, so wie du deinen Weg gehst.
Du kannst deinen Weg durch die Kinderwunschzeit nur auf deine Art und Weise gehen. Dazu gehört auch dein eigenes Tempo. Ob andere schneller unterwegs sind, ist egal. Die Kinderwunschzeit ist keine Zeit oder Leistung, die absolviert werden muss. Gerade die allgegenwärtige Trauer in der Kinderwunschzeit ist ein Gefühl, das geachtet und durchgearbeitet werden möchte.
Auch ob die Schritte, die du geht, groß oder klein sind, bleibt dir überlassen. Du kannst nur die Schritte machen, für die du Kraft hast. Geh in deinem Tempo mit deinen Schritten. Gern auch mit Begleitung, aber du bestimmst, wohin und wie schnell. Denn nur du kannst deinen Weg gehen. Er muss für niemanden außer dich passen. Ob andere deinen Weg für einen Um- oder Irrweg halten, spielt dabei überhaupt keine Rolle.
Es ist dein Weg
Wie oft hast du schon in diesen oder jenen Lebenslagen von anderen Menschen Ratschläge erhalten: Tue dies und es wird dir besser gehen. Mach es lieber so, das funktioniert auf jeden Fall. In der Kinderwunschzeit ist das nicht anders. Wenn deine Mitmenschen deinen erfolglosen Bemühungen um ein Kind nicht gerade hilflos gegenüberstehen, geben sie dir gern Ratschläge, wie du dies oder jenes tun sollst, damit es endlich klappt.
Es ist schon erstaunlich, was gerade in der Kinderwunschzeit an Ratschlägen auf dich einprasseln kann: „Iss nur noch dieses oder jenes, auf gar keinen Fall etwas anderes.“ „Fahr in den Urlaub, dann wird das schon.“ „Du musst nur lang genug warten.“ „Da bleibt nur eine künstliche Befruchtung, je eher, desto besser.“ „Lass den ganzen medizinischen Kram und adoptiere lieber. Es gibt so viele Kinder, die ein schönes Zuhause brauchen.“ Bestimmt fallen dir noch mehr ein.
Doch nur weil bei deiner Freundin dieses oder jenes funktioniert hat, um schwanger zu werden, muss das nicht auch bei dir der Fall sein. Auch Dinge, die bei deiner Nachbarin funktioniert haben, müssen dir nicht helfen. Denn dein Kinderwunsch ist persönlich, er betrifft dich und eventuell noch deinen Partner. Deshalb kann auch dein Kinderwunschweg nur dein persönlicher sein. Vielleicht wird auch der eine oder andere Irrweg dabei sein. Ich zum Beispiel musste für mich den „Umweg“ über die künstlichen Befruchtungen gehen, bevor ich mir eine Adoption zutraute.
Wichtig erscheint mir, dass du dabei immer schaust, was dir außerhalb des Kinderwunsches guttut. Wenn es dir hilft, jeden Tag im Wald spazieren zu gehen, dann tue es. Wenn du dabei jedoch immer an einem Kinderspielplatz vorbeimusst und dich das jedes Mal aus dem Gleichgewicht wirft, dann schaue, ob es dir besser tut, im Moment einen anderen Weg zu gehen, um den Anblick zu vermeiden. Vielleicht wird es später wieder gehen, doch dann kannst du immer noch neu entscheiden.
Gehe deinen Kinderwunschweg in deinem eigenen Tempo
Genauso wie dein Kinderwunschweg individuell ist, so ist es auch mit dem Tempo. Die eine braucht mehr Zeit, die andere weniger. Manch eine probiert erst in Ruhe alle alternativen Methoden aus, bevor sie eventuell bereit für medizinische Lösungen ist. Andere gehen sofort den medizinischen Weg und schöpfen zügig alle Möglichkeiten aus. Auch die Entscheidung darüber, ob und wann du überhaupt medizinische Unterstützung möchtest, sollte bei dir bleiben.
Lass dich bitte in dieser Zeit auch nicht von der „biologischen Uhr“ verrückt machen. Natürlich ist sie da. Irgendwann sind Frauen biologische Grenzen des Schwangerwerdens gesetzt. Sicher sinken die Chancen auf eine Schwangerschaft mit zunehmendem Alter. Doch Druck, der durch das Symbol einer tickenden Uhr im Hintergrund erzeugt wird, ist das, was du gerade überhaupt nicht gebrauchen kannst.
Die Zeit des unerfüllten Kinderwunsches ist nämlich auch eine Erfahrungszeit. Du erfährst, dass du einige Dinge in deinem Leben nicht erzwingen kannst. Du wirst schwanger – oder auch nicht. Du kannst auf natürlichem Weg schwanger werden – oder auch nicht. Bei dir funktioniert die künstliche Befruchtung – oder auch nicht. Dein Weg zu Kindern führt über Adoption oder Pflegschaft oder du bleibt lieber kinderlos.
Diese Erfahrungszeit ist auch eine Zeit großer Verunsicherung. Gerade wenn du in deinem Leben bisher alles erreicht hast, was du wolltest, kann diese Erfahrung dich aus deinem Gleichgewicht werfen. Gerade deshalb solltest du dir die Zeit nehmen, die du brauchst, um gut da durch zu kommen und das unabhängig von den Ratschlägen Außenstehender. Denn letztendlich ist es dein Leben und dein Körper, der mit allen eventuellen medizinischen Maßnahmen zurecht kommen muss.
Entscheide selbst über die Schritte, die du gehst
Gerade wenn dein unerfüllter Kinderwunsch über Jahre anhält, geben dir deine Mitmenschen vielleicht zu verstehen, dass du es besser sein lassen und auf Kinder verzichten solltest. Schließlich gebe es ja noch viele andere Dinge, um die du dich kümmern könntest. Oder dass du jetzt endlich den medizinischen Weg intensiver angehen solltest.
Solche Worte können verletzend und abwertend sein. Sie unterstellen, dass es einen Regelweg gibt, der zu absolvieren ist. Und dass du so, wie du unterwegs bist, nicht in Ordnung bist. Doch das stimmt so nicht. Gerade beim Kinderwunsch ist Trauer so präsent – mit jeder Regelblutung, jedem schlechten medizinischen Befund, jedem „Negativ“ nach einer künstlichen Befruchtung, jeder Fehlgeburt. Diese Trauer benötigt Zeit und Raum.
Ich wünsche dir deshalb, dass du dir die Zeit nimmst, die du für die einzelnen Schritte brauchst. Lass dich bitte auch nicht von deinem Partner oder Ärzten drängen. Es ist dein Körper, der eventuelle hormonelle Stimulationen über sich ergehen lassen muss, nicht ihrer. Lass dir die Entscheidungen über das, was du tust und was du tun möchtest, bitte nicht aus der Hand nehmen.
Bei jeder Maßnahme, egal welcher, solltest du zu 100% dahinterstehen und sie nicht nur jemand anderem zuliebe tun. Manchmal geht dieser Druck nicht (nur) von Ärzten oder vom Partner aus, sondern – teilweise unterschwellig – auch von Eltern oder Schwiegereltern, die sehnsüchtig auf ein Enkelkind warten. Gerade diesem Druck standzuhalten, kann sehr schwierig sein, bleiben wir doch zeitlebens die Kinder unserer Eltern, selbst wenn wir längst erwachsen sind.
Achte auf dich.
von Antje Przyborowski | Mrz 9, 2023 | Abschied von Kinderwunsch, Adoption/Pflegschaft, Kinderwunsch, künstliche Befruchtung |
„Nicht mal das bekomme ich hin!“ Kennst du diesen Ausspruch von dir? Wenn wieder deine Regelblutung eingesetzt hat? Oder du „schon wieder“ eine Fehlgeburt hattest? Es gibt diese Momente in der Kinderwunschzeit und nicht nur dort. Du hast den Eindruck, dass gar nichts mehr geht. Egal, was du tust, es erscheint dir sinnlos, weil nicht das dabei herauskommt, was du dir wünschst.
So pauschal dieser Satz ist, so falsch ist er auch. Denn er impliziert, dass du gar nichts hinbekommst. Was so nicht stimmt. Immerhin bist du gerade in der Lage, diesen Satz zu sagen. Das ist schon mal mehr als nichts. Richtig ist eher, dass dir das, was du in diesem Moment versuchst, nämlich ein Kind zu bekommen, nicht gelingt. Und diese Situation ist einfach furchtbar. Vor allem wenn du den Eindruck hast, dass „jede(r)“ außer dir es schafft, schwanger zu werden.
Doch neben dem, was gerade gar nicht geht, gibt es jetzt genauso Dinge, die du schaffst. Vielleicht gelingt es dir trotz allem, morgens aufzustehen. Oder du bist in der Lage, zur Arbeit zu gehen. Oder dir jeden Tag etwas zu Essen zu machen. Gerade Routinetätigkeiten bekommen wir auch in schlechten Zeiten gut hin, weil wir über sie nicht nachdenken müssen. Sie laufen automatisch ab. Mit ihnen kannst du anfangen, auch wenn es gefühlt nur Kleinigkeiten sind. Suche sie dir. Sie können dir wieder Kraft geben. Denn du bist besser, als du (gerade) glaubst.
Pauschalurteile ziehen dich runter
Wer kennt sie nicht: die Pauschalurteile. Dicke Menschen sind faul. Alte Leute sind langsam, schwerhörig und lieben Volksmusik. Jugendliche sind laut und unhöflich. Doch wir treffen diese Urteile nicht nur über andere, sondern vor allem über uns selbst: „Nie bekomme ich was hin!“ „Immer fällt mir etwas runter!“ „Immer muss das mir passieren!“ oder eben „Nicht mal das bekomme ich hin!“ Gerade in der Kinderwunschzeit tauchen sie öfter auf, als dir vielleicht lieb ist.
Wenn du genau in dich hineinspürst, wirst du feststellen, dass trotz der Wut, mit der du diese Worte vielleicht herausschleuderst, sie dich in deinem Innersten hineinziehen in ein tiefes Loch. Aus ihm gibt es scheinbar kein Entrinnen. Du schlägst dich quasi selbst. Mit deinen eigenen Worten. Du wertest dich ab. Du sprichst dir jede Selbstwirksamkeit ab. Denn egal, was du tust, es funktioniert ja offensichtlich nicht.
Gerade wenn du seelisch angeschlagen bist, kannst du in diese Abwärtsspirale rutschen. Wenn dir dein unerfüllter Kinderwunsch die Lebensfreude nimmt. Wenn dich all die Schwangeren und Mütter mit Babys um dich herum gefühlt anklagen. Diese Momente zerren an deinem Selbstwertgefühl und deiner Selbstwirksamkeit. Du bist verunsichert und musst erst einmal mit dieser neuen Situation zu Rande kommen. Mit den Pauschalurteilen über dich versetzt du dir dann den nächsten Schlag.
Sie kommen aus deiner Kindheit
Doch woher kommen diese Sätze? Oftmals sind sie ein Überbleibsel deiner Erlebnisse in deiner Kindheit. Vielleicht von deinen Eltern, die zu dir meinten: „Lass mal, ich mach das. Das kriegst du sowieso nicht hin.“ Oder von einer Erzieherin mit der Aussage: „Ach die Anne. Der fällt immer alles runter.“ Oder von einem Lehrer, der lieblos sagte: „Schon wieder eine Vier. Etwas anderes hatte ich gar nicht von dir erwartet.“
All diese Sätze, vor allem wenn sie regelmäßig wiederholt und von liebevollen Erwachsenen nicht richtiggestellt wurden, sind dazu geeignet, dir später das Leben schwer zu machen. Eben dann, wenn es dir nicht gut geht. In guten Zeiten kannst du da vielleicht drüber stehen. Dann ist dir bewusst, dass diese Aussagen in ihrer Pauschalität so nicht stimmten. Dass du sogar ganz viel hinbekommen hast. Oder dir nicht alles heruntergefallen ist, sonst hätte es ja ständig gescheppert. Oder dass du in anderen Fächern richtig gut warst. Doch wenn es dir schlecht geht so wie jetzt, kommen die alten falschen Glaubenssätze gern wieder hoch.
Dann bekommt der innere Kritiker, den du sonst vielleicht so gut in Schach halten konntest, Oberwasser. Wie ein kleines Teufelchen sitzt er auf deiner Schulter und holt all die alten Pauschalurteile wieder hoch. Und weil du so angeschlagen bist, hast du ihm vermeintlich nichts entgegenzusetzen. Du bekommst eher den Eindruck, dass er recht hat. Dass du dir die ganze Zeit etwas vorgemacht hast. Dass die Menschen aus deiner Kindheit recht hatten.
Pauschalurteile sind pauschal falsch
Doch das stimmt so nicht. Pauschalurteile sind pauschal falsch. So wie es flotte Dicke und sportliche Alte gibt, so sind auch dir in deinem bisherigen Leben Dinge gut gelungen. Sonst wärst du heute nicht hier. Du hast vielleicht einen Schulabschluss gemacht und einen Beruf erlernt. Oder hast dir selbst das Kochen und Backen beigebracht. Vielleicht du bist in der Lage, einen Schrank zu bauen. Oder einen Garten zu gestalten.
Wenn dir Sätze mit „immer“, „nie“ oder ähnlichen verallgemeinernden Wörten begegnen, solltest du vorsichtig sein. Denn sie stimmen wahrscheinlich nicht. So wie es nicht „immer“ regnet oder „nie“ die Sonne scheint, so ist auch dein Leben eine Mischung aus guten und schlechten Tagen, Erfolgen und Niederlagen.
Sei dir bewusst, dass dir im Moment gerade etwas Bestimmtes nicht gelingt. Du bist gerade jetzt nicht schwanger oder hast gerade dein Kind verloren. Dieser Moment ist aber nicht dein ganzes Leben. Er ist nur ein Ausschnitt. Vielleicht wirst du irgendwann schwanger sein, vielleicht auch ein Kind bekommen. Vielleicht wird dein Leben aber auch ganz anders sein. Denn Schwanger werden und Kinder bekommen ist etwas, was wir nicht mit viel Leistung erzwingen können.
Entlarve die Lüge in deinem Satz
Wenn dir also so ein Satz rausrutscht, dann schau ihn dir am besten mal genau an. Frage dich, ob er stimmen kann. Wenn dein Satz also lautet: „Nicht einmal das bekomme ich hin!“, dann nimm ihn einfach auseinander. Denn er impliziert, dass du gar nichts hinbekommst. Weder Atmen, noch Essen oder Trinken, geschweige denn Aufstehen, Gehen oder Schlafen. Er kann also nicht stimmen.
Du könntest jetzt schauen, was du alles kannst. Zum Beispiel Atmen, Essen, Trinken, Aufstehen, Gehen oder Schlafen. Doch vermutlich noch vieles mehr. Du kannst auch schauen, was du heute schon alles hinbekommen hast. Vielleicht warst du mit dem Hund eine Runde draußen. Oder hast Essen gekocht. Vielleicht warst du – trotz, dass du emotional angeschlagen warst – Arbeiten. Oder hast es geschafft, den Müll rauszubringen. Meist findest du mehr, als du glaubst.
Du denkst, das ist ja gar nichts (schon wieder so eine Pauschalaussage). Doch, es ist eine ganze Menge. Denn jeder Schritt, den du bewusst gehst, bringt dich wieder aus deinem Tief heraus. Auch wenn es zunächst nur ein klitzekleines Bisschen ist. Jeder dieser Schritte zeigt dir, dass du etwas bewirken kannst. Dass dir deine Kinderlosigkeit im Moment vielleicht den Boden unter den Füßen wegzieht, aber du trotzdem etwas tun kannst. Wenn du das jeden Tag tust, vielleicht auch noch mehrmals, wirst du feststellen, dass du besser bist, als du glaubst. Vertraue auf dich.
Achte auf dich.
von Antje Przyborowski | Jan 12, 2023 | Adoption/Pflegschaft, Kinderwunsch, künstliche Befruchtung, Schwangerschaft |
Hallo, ich bin Antje Przyborowski. Ich bin 53 Jahre alt. Auch ich bin viele, viele Jahre durch die vielen Tiefen und wenigen Höhen des Kinderwunsches gegangen. Nach mehreren erfolglosen künstlichen Befruchtungen haben mein Mann und ich zwei Kleinkinder adoptiert. Kurz vor meinem 40. Geburtstag wurde ich tatsächlich das erste und einzige Mal in meinem Leben schwanger und dieses Kind blieb auch. Ein Wunder, das es – eigentlich – nicht hätte geben sollen, aber trotzdem hocherwünscht war.
Das klingt, als sollte alles gut sein. Doch mit der Ankunft der Kinder in unserem Leben war nichts mehr so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Unsere Adoptivkinder haben unser Leben aufgrund ihrer mitgebrachten Geschichte völlig auf den Kopf gestellt und uns weit über unsere Grenzen hinaus getrieben. Heute sind sie erwachsen, und nur noch unser „Nesthäkchen“ wohnt zu Hause.
All die Erfahrungen, die ich in den mehr als 25 Jahren mit Kinderwunsch und Kindern gemacht habe, haben mich bewogen, beruflich noch einmal umzusatteln. Heute bin ich Heilpraktikerin für Psychotherapie mit einer Ausbildung als Integrative Trauerbegleiterin und Schreibtherapeutin. Zur Zeit bilde ich mich zur TAKT-Traumatherapeutin weiter.
Mein Wunsch ist es, euch in eurer Kinderwunschzeit zu begleiten. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Trauerarbeit, denn Trauer ist nach meiner Erfahrung in der Kinderwunschzeit allgegenwärtig. Sei es durch die monatliche Regelblutung, die wieder jede Hoffnung zunichte macht. Oder durch Schwangerschaften im Freundes- und Familienkreis. Oder durch Fehl- und Totgeburten. Damit ihr in dieser schweren Zeit nicht allein seid.
Trauer in der Kinderwunschzeit
Trauer in der Kinderwunschzeit wird von Außenstehenden oft nicht gesehen. Wie kannst du um etwas trauern, was noch gar nicht da ist. Deine Mitmenschen können oft nicht verstehen, dass diese Kinder für dich als Betroffene schon da sind. Jedes Wunschkind existiert bereits in deiner Vorstellung. Ich hatte meine beiden geplanten Wunschkinder schon genau vor meinem Auge: einen aufgeweckten Jungen und eine wilde Hilde. Mit jeder Regelblutung starben sie. Der Schmerz, der dann in mir hochkam, war Trauer. Trauer um diese ungelebten Leben. Nur das ich das damals noch nicht wusste.
Wenn das wieder und wieder (bei mir über insgesamt 13 Jahre) passiert, geht das ganz schön an die Substanz. Ich fühlte mich minderwertig. Mein Selbstbewusstsein als Frau war ganz unten. Die Umwelt war meist auch nicht hilfreich, sondern oft abwertend. All die klugen Ratschläge und Sprüche von „Entspann dich mal“ über „Soll ich euch mal zeigen, wie es geht“ bis zu „Vielleicht ist es besser so“ haben mein Mann und ich gehört.
Auch die Zeit meiner letztlich erfolglosen künstlichen Befruchtungen (3 ICSI, eine Kryo) waren von einem emotionalen Auf und Ab geprägt. Da waren zum einen die hormonellen Schwankungen, die auch meine Gefühle Achterbahn fahren ließen. Dazu kam der Druck: Termine, verbunden mit einer mindestens einstündigen Anfahrt, waren wahrzunehmen. „Nebenbei“ ging ich Vollzeit zu arbeiten und musste trotz eines „Negativ“ weiter funktionieren. Die Ärzte wünschten, dass wir nach jedem „Negativ“ am liebsten gleich weitergemacht hätten.
Zeit für Trauer gab es nicht. Stattdessen empfand ich diese Zeit als Stress pur, also genau das, was ich eigentlich nicht haben sollte. Damals hätte ich mir gewünscht, jemand Außenstehenden zu treffen, der diese Situation nachvollziehen kann, der mit mir trauert. Wenn es anderen Paaren auch so ging, so wurde darüber nicht geredet. Auch ich habe es nicht thematisiert, weil ich mich für mein vermeintliches Versagen schämte. Mein Mann konnte mir dabei nur bedingt helfen. Natürlich wünschte er sich auch Kinder, war aber– wie er selbst sagte – emotional nicht so stark betroffen.
Damit ihr als Frauen und Paare, die ihr euch heute in so einer Situation befindet, nicht allein steht, möchte ich euch gern durch diese Zeit begleiten. Manchmal reicht eine Schulter zum Ausheulen, jemand, der zuhört. Manchmal braucht es therapeutische Interventionen, um einen weiteren Schritt im Leben gehen zu können, auch wenn er noch so klein ist.
Adoption als „Ersatz“ für leibliche Kinder
Wenn es mit leiblichen Kindern nicht klappt, kann eine Adoption oder Pflegschaft eine Alternative zu einem Leben ohne Kinder sein. Natürlich wird regelmäßig betont, dass Adoptivkinder kein Ersatz für leibliche Kinder sein können. Doch die wenigsten Menschen adoptieren Kinder aus altruistischen Motiven, sondern weil sie mit Kindern leben möchten, sie aufziehen, ihnen ein Zuhause geben möchten. Es stecken also eher egoistische Motive dahinter. Daran ist auch überhaupt nichts schlimm. Wir müssen uns nur darüber im Klaren sein und es anerkennen.
Mitte der 2000er Jahre haben mein Mann und ich erst einen 4jährigen Jungen und ein Jahr später ein 4 1/2jähriges Mädchen adoptiert. Im Nachhinein kann ich sagen, dass wir beide trotz der Vorbereitung durch die Adoptionsvermittlung ziemlich blauäugig in dieses Abenteuer gegangen sind. Wobei das vielleicht auch gut so war, sonst hätten wir es uns zweimal überlegt, ob wir uns das wirklich zutrauen.
Damals erzählte uns niemand etwas davon, dass diese Kinder schwer traumatisiert waren und welche Auswirkungen das auf ihr Verhalten und damit unser künftiges Leben haben würde. Einfach, weil dies im Jugendamt nicht bekannt war. Später wurde bei unserer Tochter auch noch ein Fetales Alkoholsyndrom diagnostiziert, welches die Situation zusätzlich stark belastete.
Wie groß der Unterschied zwischen einem schwer vorbelasteten Adoptivkind und einem leiblichen Kind ist, haben wir erst richtig gemerkt, als sich unser Wunderkrümel einstellte. Erst da wurde uns bewusst, was frühe Traumata bei einem Kind ausmachen. Und wir mussten erkennen, dass Liebe – egal wie viel – nicht alle seelischen Wunden heilen kann. Dass drei oder vier schlimme Jahre auch nicht in 15 oder mehr Jahren in einem positiven Umfeld wieder „gut“ gemacht werden können. Egal, wie man sich anstrengt.
Adoptiveltern stehen da auch heute noch oftmals allein mit ihren Problemen, die mit dem Kind ins Haus kamen. Sie haben sie nicht verursacht, müssen aber damit zurecht kommen. Deshalb möchte ich euch zur Seite stehen – sowohl mit meinen Erfahrungen als auch mit meinem therapeutischen Wissen. Denn Adoptiv- und Pflegekinder haben auch die Kraft, Familien zu sprengen. Diese Kinder sind in der Lage, all unsere seelischen Verletzungen, die wir vielleicht tief in uns vergraben haben und derer wir uns deshalb auch nicht bewusst sind, wieder aufzudecken.
Auf der anderen Seite können Adoptiv- und Pflegekinder auch sehr bereichernd für das eigene Leben sein. Viele Dinge hätten mein Mann und ich nicht gemacht, wenn diese Kinder nicht zu uns gekommen wären. Sie haben unsere Urlaubs- und Freizeitgestaltung beeinflusst und auch unsere berufliche Entwicklung. Unser Leben wäre heute ein völlig anderes ohne sie, wahrscheinlich auch ein Stück weit ein langweiligeres.
Was allerdings mit unseren Adoptivkindern nie ganz verschwand, war mein Wunsch nach einem leiblichen Kind. Er war sicher nicht mehr so stark wie vor den Adoptionen, schon weil unsere Kinder uns permanent forderten. Aber die Trauer, der Schmerz über jede Regelblutung blieb unterschwellig erhalten.
Auch mit einem leiblichen Kind wird nicht immer alles gut
Als dann mein Zwerg unterwegs war, schien alles gut zu werden mit dem Kinderwunsch. Die Sehnsucht nach dem leiblichen Kind war – verständlicherweise – weg. Doch dafür kamen andere Probleme auf mich zu. Da war die Ärztin, die unbedingt alle möglichen Untersuchungen veranlassen wollte, weil es doch „in meinem Alter“ eine Risikoschwangerschaft war und die nicht verstehen konnte, dass ich das nicht wollte. Da war meine Mutter, die mich allen Ernstes fragte, ob wir dieses Kind wirklich haben wollten.
Im Gegensatz zu vielen Anderen hatte ich eine wunderbare Schwangerschaft. Ich konnte bis zum Schluss arbeiten, was bei vielen Frauen nicht funktioniert. Mir ging es richtig gut. Doch danach war Schluss mit den rosaroten Wolken. Ich wünschte mir eine Geburt im Geburtshaus – Es wurde ein Kaiserschnitt im Krankenhaus. Ich wollte Stillen – Der Zwerg ging nicht an die Brust und wurde ein Flaschenkind. Ich hatte mir ruhige Zeiten mit ihm vorgestellt – Er war ein Schreikind. Andere Kinder schliefen mit drei, vier oder fünf Monaten halbwegs durch – Meiner machte das erst mit 2 1/4 Jahren.
In all diesen Momenten fühlte ich mich wieder wie eine Versagerin. „Alle“ bekamen eine natürliche Geburt, das Stillen und das Durchschlafen hin, bloß ich nicht. Zwar versuchte mein Mann, mich nach besten Kräften zu unterstützen, doch oftmals war ich völlig verzweifelt. Mittlerweile weiß ich, dass ich damit nicht allein bin, dass es viele Frauen gibt, denen es genauso oder ähnlich geht. Neben den hormonellen Schwankungen bringt uns auch der Schlafmangel an unsere Grenzen. Auch die Neugestaltung des Alltags mit dem Baby kann zu neuen Belastungen führen.
Vielen hilft es schon, wenn sie wissen, dass sie nicht allein sind. Gerade wenn das Baby nicht schlafen will, viel schreit oder nicht trinken will, ist es gut zu wissen, dass es anderen Frauen auch so geht. Denn wir sehen oft nur die, bei denen alles (vermeintlich) gut funktioniert. Die strahlen und ein stets zufriedenes Kind haben. Wir kommen in einen Tunnelblick, der uns unseren „Mangel“ immer wieder vor Augen führt. Wie in der „Hochzeit“ des Kinderwunsches, wenn wir um uns herum nur schwangere Frauen wahrnehmen.
Doch auch diese turbulente Zeit musst du nicht allein durchstehen. Zu akzeptieren, dass es so ist, wie es ist, kann ein erster Schritt sein, um besser mit der neuen Situation umgehen zu können. Gemeinsam können wir Möglichkeiten finden, die dir in deiner aktuellen Situation weiterhelfen können. Manchmal kann es auch hilfreich sein, den Fokus zu verschieben und zum Beispiel den Ansprüchen auf die eigene Perfektion auf den Grund zu gehen. Ich unterstütze dich gern darin.
Was dich in meinem Teil des Blogs erwartet
In diesem Blog schreibe ich abwechselnd mit meiner Kollegin Tanja Krieger, die sich bereits letzte Woche vorgestellt hat. Bei mir wird der Schwerpunkt neben dem Thema Trauer in der Kinderwunschzeit auch auf Adoption und Pflegschaft liegen. Dabei möchte ich dir nicht nur einen tieferen Einblick in diese Themen bieten, sondern auch meine Erfahrungen mit dir teilen.
Bis dahin wünsche ich dir eine schöne Zeit. Achte auf dich.
Antje Przyborowski